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Wildnis in Nordrhein-Westfalen


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Wildniswälder

Was sind Wildniswälder?

Wildniswälder sind naturnahe Wälder, in denen sich die natürliche Dynamik frei entfalten kann. Forstliche Nutzungen sind dauerhaft eingestellt - zukünftig wird in diesen Wäldern kein Baum mehr entnommen. In Wildniswäldern leben alle Bäume bis zu ihrem natürlichen Ende.

Sind Wildniswälder richtige Urwälder?

Urwälder im engeren Sinn, als vom Menschen völlig unberührte Wälder, gibt es schon seit Jahrhunderten nicht mehr in Mitteleuropa. Fasst man den Begriff aber weiter, so können die Wildniswälder als die "Urwälder von morgen" bezeichnet werden.

Welche Wälder eignen sich besonders als Wildniswälder?

Besonders geeignet sind vor allem alte Buchenwälder, weil sie in Mitteleuropa ihren natürlichen Verbreitungsschwerpunkt haben, darüber hinaus an bestimmten Standorten auch alte Eichenwälder. Wenn diese Wälder bereits mehr als 120 Jahre alt sind – also noch im 19. Jahrhundert begründet wurden! – haben sie schon rund ein Drittel ihres natürlichen Lebensalters erreicht. Charakteristische Tier- und Pflanzenarten, wie Schwarzspecht, Schwarzstorch oder Orchideen prägen bereits den Lebensraum.

Warum soll es Wildniswälder geben? Natur- und umweltschutzfachliche Gründe

Fast alle Wälder werden heutzutage forstlich genutzt.

Im Wirtschaftswald erreichen die Bäume daher in der Regel nicht ihr biologisches Alter. Buchen beispielsweise werden meist im Alter von 120-140 Jahren geerntet. Dies ist das Alter, in dem sie besonders interessant für die Holzverwertung sind und daher gute Erträge liefern. Der Lebensraum Buchenwald ist bis zu diesem Alter jedoch relativ artenarm. Werden Buchen dagegen nicht vom Menschen eingeschlagen, können sie ein Alter von 350 Jahren und mehr erreichen.

Bestände, die der natürlichen Dynamik überlassen werden, entwickeln sich langfristig zu ausgesprochen artenreichen Lebensräumen, weil sie für eine Vielzahl von Arten Raum bieten, die an die Alters- und Zerfallsphasen gebunden sind. Solche Buchen- oder Eichen-Wildniswälder zeichnen sich durch eine besonders hohe biologische Vielfalt aus.

Gerade diese Wildniswälder fehlen jedoch im seit langem und dicht besiedelten Mitteleuropa. Die ursprünglichen Naturwälder mussten hier teilweise schon in der Antike und besonders im Mittelalter den menschlichen Nutzungsansprüchen weichen. Baumartenzusammensetzung, Alterstruktur und Aufbau der Wälder sind in Mitteleuropa seit Jahrhunderten von den menschlichen Nutzungsansprüchen geprägt. Möglichkeiten, Flächen von über 1.000 ha (vgl. Wildnis-Definition in der Einleitung) aus der Nutzung zu nehmen, bestehen daher bei uns nur noch an ganz wenigen Stellen.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden große, teilweise viele hundert ha umfassende Waldgebiete im Rahmen des Netzes Natura 2000 zur Verbesserung der Erhaltungszustände natürlicher Wald-Lebensraumtypen unter Schutz gestellt. Das Potenzial hierfür war im NRW-Landeswald überdurchschnittlich hoch. Diese Natura 2000 Gebiete sind überwiegend schon in einem guten Erhaltungszustand und sie werden größtenteils auch weiterhin extensiv forstlich genutzt. Ihre ökologische Qualität kann jedoch nochmals gesteigert werden, wenn zumindest Teile der Schutzgebiete der natürlichen Dynamik überlassen bleiben.

Ein kohärentes Netz von Wäldern sowohl mit Alters- und Zerfallsphasen als auch entsprechend hohen Alt- und Totholzanteilen in Natura 2000-Gebieten zu etablieren ist deshalb ein wichtiger Beitrag und ein Ziel des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieses Ziel soll unter anderem mit den Wildnisgebieten im Staatswald verfolgt werden.

Geschichte und politische Anlässe

Die Idee, Wälder aus der forstlichen Nutzung zu nehmen, ist nicht neu und eng mit dem Nationalparkgedanken verknüpft. Nationalparke sind großflächige Schutzgebiete - möglichst mehr als 10.000 ha - in denen jegliche Nutzung unterbleibt und sich die Natur ohne menschliche Eingriffe entwickeln kann.
Die Kernzonen von Nationalparken in Deutschland, mit Ausnahme der Küsten und der Alpen, sind folglich große Wildniswälder. Der älteste Nationalpark (NLP) Deutschlands ist der Nationalpark Bayerischer Wald. Gegründet wurde er 1970, knapp 100 Jahre nach dem Yellowstone-Nationalpark in den USA. Dieser wurde als als erster Nationalpark weltweit bereits 1872 ins Leben gerufen und zählt wohl international zu den bekanntesten Nationalparks.

In Nordrhein-Westfalen wurde im Jahr 2004 der erste Nationalpark in der Eifel eingerichtet. Hier findet auf über der Hälfte der Fläche bereits völliger Prozessschutz statt, weitere Teilbereiche sollen zukünftig ebenfalls der natürlichen Dynamik überlassen werden.

In NRW gibt es zudem schon seit mehr als 40 Jahren Waldgebiete, in denen eine forstliche Bewirtschaftung dauerhaft ausgeschlossen ist. Diese als "Naturwaldzellen" bezeichneten Flächen wurden ausgewiesen, um die natürliche Entwicklung von Waldökosystemen forstwissenschaftlich zu beobachten und daraus Handlungsempfehlungen für die naturnahe Bewirtschaftung zu geben. Sie liegen nicht selten "im Herzen" von Natura 2000-Gebieten, die zum Schutz von natürlichen Wald-Lebensräumen von europäischer Bedeutung ausgewiesen wurden. Allerdings sind die Naturwaldzellen aufgrund ihrer häufig geringen Größe und ihres insgesamt überschaubaren Flächenumfangs alleine nicht ausreichend, um das Defizit an alten ungenutzten Wäldern aufzufangen.

Die politischen Auslöser für die aktuelle Einrichtung weiterer Wildniswälder leiten sich ab aus den Beschlüssen der UN-Biodiversitätskonferenzen in Rio und Bonn (1992 und 2008), aus der "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" der Bundesregierung (2007) und aus der Erklärung der EU-Umweltminister aus dem Jahr 2009 (Prager Erklärung), die in besonderem Maße den Zusammenhang zwischenWildnis und dem bestehenden Netz Natura 2000 herstellt. Die Forderungen von EU-Parlament und EU-Kommission nach einem besseren Schutz für das Europäische Naturerbe im Rahmen von Natura 2000 wird in NRW u.a. durch die Einrichtung von Wildnisentwicklungsgebieten in Staatswaldflächen Rechnung getragen.

Die Bedeutung von Wildnis wird auch in der Biodiversitätsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen (2015) hervorgehoben: Es "... liegt eine wesentliche Chance zur Bewahrung unserer Biodiversität darin, "neue Wildnis" zu ermöglichen, das heißt den ungestörten Ablauf aller Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten. Dies gilt nicht nur für Waldflächen, sondern auch für Brachen, Fließgewässer, Auen und ehemalige Industriestandorte." [ ... ]

Nach §40 Absatz 3 Satz 2 des Landesnaturschutzgesetzes (Neufassung vom 15. November 2016) haben die Wildnisentwicklungsgebiete im Land Nordrhein-Westfalen im April 2017 durch Veröffentlichung im Ministerialblatt einen gesetzlichen Schutzstatus als Naturschutzgebiete erhalten.